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Thomas Kling

Thomas Kling lebte von 1957 bis 2005. Er studierte Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte. Er gilt als stilbildend für die deutschsprachige Lyrik nach 1990. Seine öffentlichen Lesungen hatten oft Performance­charakter, so trat er zum Beispiel mit einem Jazzschlagzeuger auf.

Collage

Ich habe zu Klings Gedicht "Ratinger Hof, Zettbeh (3)" eine Collage erstellt. Das lag nahe, denn der Text über eine Party-Nacht (s. weiter unten), ist selber eine Art Collage von Wort- und Satzfetzen, die scheinbar zufällig nebeneinander stehen.

Der Titelzusatz „Zettbeh“ (= z.B.) hat mich dazu angeregt, neben Fotografien aus dem Ratinger Hof (von Richard Gleim) noch andere „Beispiele“ zu suchen:

Ein paar Fotos habe ich aus meinem Fotoalbum in die Collage geschmuggelt und damit eine Verbindung zu meiner eigenen Jugend in den 1980-er-Jahren geschaffen, denn das Gedicht ist 1989 entstanden. Ein grosser Teil der Fotos jedoch stammt aus aktuellen Modezeitschriften. Offensichtlich sind die Anleihen der heutigen Mode bei derjenigen der 1980/90-er-Jahre gross.

Collage zu "Ratinger Hof, Zettbeh"

Das Gedicht endet mit einer Art „Memento mori“. Ich wollte daher den Betrachter der Collage als Adressaten dieser Ermahnung miteinschliessen und habe daher eine mit Folie beklebte Fläche ausgespart, in der sich das Gesicht des Betrachters widerspiegelt.

Ratinger Hof, Zettbeh (3)

         »o nacht! ich nahm schon
         flugbenzin ..«

nachtperformance, leberschäden,
schrille klausur
                     HIER KÖNNEN SIE
ANITA BERBER/VALESKA GERT BESICHTIGEN
MEINE HERRN .. KANN ABER INS AUGE GEHN
stimmts outfit? das ist dein auftritt!
schummrige westkurve (»um entscheidende
millimeter geschlagen«)
                                 gekeckerte -fetzen
»süße öhrchen«, ohrläppchen metallverschraubt
beschädigtes leder, monturen, blitze
beschläge, fischgrät im parallel-
geschiebe; sich überschlagendes, -lapp
endes keckern (»gestern dä lappn wech«);
unser sprachfraß echt junkfood, echt
verderbliche ware, »süße öhrchen«, wir
stülpen unsere mäuler um JETZT mit der
(kühlschrank)nase flügeln (yachtinstinkt,
»paar lines gezogn«); nebenbei erklärter
maßen blitzkrieg/blickfick (JETZT LÄC
HELN!); havarierte augenpaare (schwer
geädert), »man sieht sich«, kiesel im
geschiebe, man sieht nichts aber: über
gabe/rüberreichen von telefonnummern
(JETZT LECKEN!)
DAS HAARREGISTER: bei
steiler fülle, grannig gestylt, hoch
gesprühter edelwust, fiftyfifty,
gesperberte fönung, cherokeegerädert,
barbieverpuppung, teddysteiff, »sekthell
ihr busch«, weekend-allonge, Yves-Klein-blau,
pechschwanz, schläfenraster, freigelegte
schädeldecke, »um entscheidende millimeter
geschlagen!«
                                 (von der kette
gelassen; bereit, zeitig, zum sprung;
zum absprung bereit, die jungens: paar
kanaken plattmachn, gefletschte pupillen,
panzerglasig; vollgestopft mit guten
pillen werden sie dann unter vorrückende
tanks gejagt, »haste ma ne mark für taxi«);
gerädert, bei steiler fülle, OP-bläue,
pechschwanz, schädelraster, ums ganze
haarregister laberschäden; sicherheit ja
die einzige ja: UM FÜNF WIRD HIER
DAS LICHT ANGEHN .. DAS VOLLE LICHT ..
AUFTRITT VON PHANTOMSCHMERZEN .. UND
ANGST DAS KALTE LAKEN

Interpretation

Der „Ratinger Hof“ war ein legendäres Lokal in der Düsseldorfer Altstadt und wird stark mit der Punk-Bewegung in Verbindung gebracht. Bei jeder Lektüre erschliessen sich neue Zusammenhänge, Wortkreationen, Assoziationen und Spiele mit Klängen.

Erklärungen:

  • „o nacht! ich nahm schon flugbenzin..“: Dies knüpft an ein Gedicht von Gottfried Benn an, das dieser 1916 geschrieben hat und in dem es heisst: „O, Nacht! Ich nahm schon Kokain“. Flugbenzin ist hier sowohl Reim als auch Steigerung zu Kokain.

  • „keckern“: Laut Duden bedeutet dieses Verb „in hellen, kurz ausgestossenen Lauten Zorn oder Erregung äussern“ (Marder keckern zum Beispiel).

  • Anita Berber: Anita Berber ist 1899 geboren und starb bereits 29-jährig. Sie war eine skandalumwitterte deutsche Tänzerin (sinnigerweise hiess ein Tanz von ihr „Cocaine“…) und fiel durch ihren exzessiven Lebensstil auf.

  • Valeska Gert: Gertrude Valeska lebte von 1892-1978 und war ebenfalls eine deutsche Tänzerin. Auch sie ein skandalumwitterter Star. Durch ihren besonderen Tanzstil (oft als „grotesk“ bezeichnet) fiel sie auf.

  • Blitzkrieg: Hier wohl eine Anspielung auf eine englische Punkband diesen Namens.

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